KUNST AM BUCH

Wie alles begann

In den Jahren nach meinem Eintritt 1969 in die elterliche Buchbinderei, schenkte mir mein Vater, Albert Burkhardt, zu Weihnachten manchmal ein Buch. Heute würde ich sagen: einen Einband, den er entweder dem Gewinner eines Einbandwettbewerbs abgekauft, oder bei einem Schweizer Buchbindermeister in Auftrag gegeben hatte.

Hinzu kamen zwei Einbände von mir selbst, die ich 1967 während des fünfmonatigen, lehrreichen und vor allem kreativen Praktikums in der Werkstatt von Buchbindermeister Thorvald Henningsen realisieren konnte.

Geweckte Freude

Durch meine Tätigkeit als Geschäftsführer der Buchbinderei Burkhardt AG war ich auch zuständig für das handwerkliche Atelier. Hier fanden sich immer wieder einzelne Handwerker mit gestalterischer Veranlagung, denen ich einen besonderen Inhalt zum "künstlerischen" Einbinden übertragen konnte. Auch dank meiner Tätigkeit im Vorstand des Centro del bel libro in Ascona, bewegte sich mein Interesse zunehmend Richtung Einbandkunst.

Wachsendes Interesse

Anlässlich des 150jährigen Bestehens des (VZOB) Verein Zürcher und Ostschweizer Buchbindereien, wurde ich vor allem dank der Digitaldruck-Möglichkeit unserer Bookfactory etwas unverhofft zum Verleger des vor Jahren von Thorvald Henningsen verfassten Werks "Geschichte der Buchbinderei in der Schweiz". Dabei fand ich besonderes Interesse an den zahlreichen, von Henningsen zusammengetragenen Abbildugen von Einbänden, die Mitte des 20. Jahrhunderts durch Schweizer Handwerksmeister gearbeitet worden waren.

Der definitive Entschluss

Diese verlegerische Arbeit inspirierte mich in der Folge, einen Werkkatalog aller Meistereinbände von Thorvald Henningsen, den ich als den talentiertesten Schweizer Einbandkünstler einschätze, herauszugeben. Die Zusammenarbeit mit Erich Gülland war zwar äusserst fruchtbar, blieb aber laienhaft. Erst durch das professionelle Mitwirken von Mechthild Lobisch, die ich ursprünglich nur für das Verfassen des Vorworts angefragt hatte, entstand 2017 schliesslich ein umfassender und auch international beachteter Katalog über Thorvald Henningsens Lebenswerk. In den zwei Jahren engster Zusammenarbeit mit Mechthild Lobisch habe ich so viele Impulse bekommen und so manches aus der Welt der Einbandkunst gelernt, dass die Faszination dazu führte, mir immer wieder mal selbst einen Meistereinband zu leisten und/oder einer aktiven Einbandkünstlerin einen Auftrag für einen Einband zu erteilten. So wurde ich "plötzlich" Besitzer von über 100 sehr besonderen und auch persönlichen "Prachteinbänden" Und so geht es mir nun wie Artistoteles: Je tiefer ich in das faszinierende Thema Einbandkunst eindringe, desto mehr realisiere ich, wie wenig ich davon verstehe ... Diese wachsende Sammlung bereitet mir große Freude, auch wenn ich bis jetzt nicht wusste, wie sie sich mit anderen Enthusiasten und Experten vernetzen kann.

Mein Sammlungskatalog

Alle meine Einbände liegen lichtgeschützt in farbig eingefassten Schachteln, für jeden Einbandkünstler eine andere Farbe. Im nun vorliegenden Katalog sind alle Einbände prominent abgebildet und mit Kommentaren zum Einbandkünstler, zur technischen Verarbeitung und zum Inhalt versehen.

Hans Burkhardt

Hans Burkhardt absolvierte nach Abschluss der Kantonsschule Zürich von 1962-65 in Neuchâtel eine Buchbinderlehre bei Delachaux & Niestlé. Im Anschluss belegte er von November 1966 bis März 1967 ein Praktikum bei Thorvald Henningsen in Zürich.

Es folgten Lehr und Wanderjahre in London, Stuttgart und Minden (D), Rom und Paris bevor er 1969 ins die elterliche Buchbinderei Burkhardt in Zürich einstieg. Am 1. April 1973, nach der Umwandlung in eine AG, übernahm er die Geschäftsführung und entwickelte die Firma weiter, was 1985 den Umzug in ein eigenes Gebäude in Mönchaltorf zur Folge hatte. Das praktische handwerkliche Schaffen am Buch wurde deshalb nach der sehr inspirierenden Phase bei Henningsen zum Hobby, d.h. es musste der neuen Tätigkeit als Geschäftsführer der mehrheitlich industriellen Buchbinderei weichen.